Erziehung
Kinder brauchen klare Regeln
„Kinder brauchen klare Regeln!“ – Eltern, die sich in Erziehungsfragen an professionelle Ratgeber aus dem Internet oder aus Büchern wenden, stolpern in so gut wie jeder Veröffentlichung über dieses Statement.
Welche Erfahrungen dieser Aussage zugrunde liegen und ob dieser Satz stets gültig sein wird – wir haben einmal genauer hingeschaut und uns eingehend über das Thema informiert.
Regeln – ein notwendiges Übel oder überflüssiges Relikt einer vergangenen Zeit?
Verbote und Gebote, die das Zusammenleben einer Gemeinschaft regeln, gab es zu jeder Zeit. Natürlich haben sich die Regeln im Umgang miteinander im Laufe der menschlichen Entwicklung stark verändert und zum Teil immer weiter verfeinert, doch die Tatsache, dass es ohne Gebote und Verbote keine funktionierende Gemeinschaft geben würde, ist und bleibt unumstößlich. Einige der wichtigsten Gesetze, die den Menschen im Laufe ihrer Kindheit vermittelt werden, sind beispielsweise der Umgang mit Gewalt und die Vermeidung gefährlicher Situationen, die das eigene Leben in Gefahr bringen könnten.
Das Vermitteln und konsequente Durchsetzen klarer Regeln liegt – ganz besonders in den ersten Jahren eines jungen Lebens – im Aufgabenbereich der Eltern, welche diesen Teil der Erziehung auf keinen Fall vernachlässigen dürfen. Regeln stellen ein festes Gefüge in der kindlichen Gedankenwelt dar, an dem sich der Nachwuchs orientieren und festhalten kann. Ohne Gebote und Verbote irrt das Kind haltlos durch die Jugend, nicht fähig, sich später den Forderungen der Gemeinschaft anzupassen und sich einen festen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen.
Aus diesem Grund sind klare Regeln kein überflüssiges Relikt einer vergangenen, autoritären Zeit, sondern ein notwendiges Erziehungsinstrument, welches mit liebevoller Strenge konsequent durchgesetzt werden muss. Diese Aussage soll jedoch kein Freifahrtschein für Eltern sein, um willkürlich einen großen, erschöpfenden Regelkatalog für das Familienleben zu erstellen, dem schon die kleinsten Mitglieder der Familie hilflos ausgesetzt werden. Ganz im Gegenteil: Wer kluge, nachvollziehbare Gebote und Verbote aufstellen möchte, muss sich dabei selber an klare Regeln halten.
Regeln aufstellen – gar nicht so einfach, wie es klingt
Bevor sich Eltern nun motiviert an die Aufgabe machen, den bisherigen Regelkatalog der eigenen Familie zu analysieren und zu überarbeiten, sollten sie daran denken, dass nicht jedes Lebenszeichen des Kindes reglementiert werden kann und vorhandene Gebote und Verbote im Laufe der Zeit immer wieder auf den Prüfstand gehoben werden müssen, um festzustellen, ab wann die Regeln angepasst oder ganz gestrichen werden sollten.
Was bedeutet „Nicht jedes Lebenszeichen vom Kind kann und darf reglementiert werden“? Dieser Satz bedeutet lediglich, dass man es mit den Geboten und Verboten innerhalb einer Familie nicht übertreiben sollte, um die Kinder nicht zur Verzweiflung zu bringen. Natürlich gibt es klare Regeln, an die sich jedes Kind halten muss, allein schon aus dem Grund, dass bei Zuwiderhandlung sein Leben oder seine Gesundheit in Gefahr geraten würden.
Beispiele für derartige Gebote und Verbote:
- Stecke den Finger nicht in Steckdosen
- Klatsche mit der Hand nicht auf die heiße Herdplatte
- Stecke keine Kleinteile in diverse Körperöffnungen (Nase, Ohren, etc.)
- Laufe nicht mit einem Messer oder einer Schere im Eiltempo durch die Wohnung
- Ziehe nicht an einem Topf, der auf dem Herd steht und dessen Inhalt kochend heiß sein könnte
- Laufe niemals blindlings auf eine Straße
- Gehe nicht allein an einen Teich
Derartige Regeln sind ohne Wenn und Aber mit voller Konsequenz durchzusetzen und erlauben keine Ausnahmen.
In anderen Bereichen des Lebens sollten die Eltern jedoch ruhig lockerer sein und sich in einigen Situationen auf eine Diskussion mit dem Kind einlassen. So ist es beispielsweise durchaus nachvollziehbar, dass die Sprösslinge irgendwann einmal damit anfangen, sich selber ihre Tageskleidung auszusuchen. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung Selbständigkeit und sollte nicht von vornherein von den Eltern unterdrückt werden – nur, weil das Kind etwas anderes anziehen möchte, als Mama und Papa vorgesehen hatten. Anstatt also darauf zu bestehen, dass genau die Kleidung angezogen wird, welche die Eltern für richtig halten, sollten sie zusammen mit dem Nachwuchs alle passenden Kleidungsstücke durchgehen, die Vor- und Nachteile einer möglichen Wahl erklären und dem Kind dann ganz alleine die Entscheidung überlassen, welches Teil von den angebotenen Stücken heute gut zu seiner Laune passen würde. Kinder, die öfters mal die Chance erhalten, selbständige Entscheidungen treffen zu dürfen, werden diese Situationen als Erfolgserlebnis verbuchen. Das Ergebnis ist eine angenehme und entspannte Atmosphäre innerhalb der Familie.
Mit dem zunehmenden Alter und der wachsenden Reife der Kinder greift dann auch der zweite, gutgemeinte Ratschlag an die Eltern: „Regeln dürfen nicht starr und unveränderlich sein, sondern müssen sich an veränderte Situationen anpassen und gegebenenfalls gestrichen werden.“! Es ist klar, dass ein Kleinkind einem größeren Regelkatalog unterliegt, als beispielsweise ein Schulkind, weil das kleine Wesen noch sehr viel weniger von der Welt weiß und begreift, als das ältere Kind. Je mehr der Nachwuchs jedoch versteht und je größer auch sein Betätigungsfeld wird, desto mehr müssen sich die Regeln ändern. Von „Messer, Gabel, Schere, Licht – sind für kleine Kinder nicht!“ über „Komm, ich zeige dir, wie man mit einer Schere verantwortungsvoll umgeht!“ bis hin zu „Du bist nun alt genug, um ganz alleine mit der Schere schneiden zu können!“.
Wie man sieht, ist das Einführen von klaren, nachvollziehbaren Regeln kein Kinderspiel und erfordert ein hohes Maß an Flexibilität. Eltern, die sich dieser Herausforderung stellen, werden jedoch mit fröhlichen Kindern, die sich an guten Vorbildern orientieren konnten und trotzdem ihre Selbständigkeit erlernen durften, belohnt.
Klare Regeln in der eigenen Familie einführen
In manche Regeln wächst das Kind einfach hinein, weil Mama und Papa jedes Mal, wenn es etwas Bestimmtes tun möchte (Finger in die Steckdose stecken, mit dem Kugelschreiber die weiße Tapete verschönern, etc.), gebetsmühlenartig ihr „Nein, das macht man nicht!“ oder ihr „Nein, das ist gefährlich!“ wiederholen. Je älter die Kinder werden, desto abstrakter werden jedoch auch die Regeln, so dass es mit dem Mantra „Nein!“ ab einem bestimmten Zeitpunkt einfach nicht mehr getan ist.
Plötzlich lauten die Regeln, dass man während einer Diskussion jedes Familienmitglied ausreden lässt oder jeder einmal damit dran ist, den Geschirrspüler auszuräumen und den Müllbeutel zu leeren. Je abstrakter und komplizierter der Regelkatalog jedoch wird, desto eher verliert das Kind die Übersicht und beginnt, einige der Gebote und Verbote zu vergessen. Ein einfacher Trick, um diese Gefahr zu vermeiden und der gesamten Familie das gemeinsam erarbeitete Regelkonstrukt ständig vor Augen halten zu können, ist das Einführen von Plänen, die man entweder an der Wand aufhängen kann (als Plakate bzw. an Pinnwänden), oder auf einer FlipChart präsentiert. Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, um Dinge zu visualisieren – die bisher genannten Tools haben sich jedoch im Laufe der Zeit als besonders wirkungsvoll erwiesen. Übrigens: Wenn die Kinder aktiv bei der Gestaltung dieser Pläne mithelfen dürfen, werden sie die Regeln noch schneller verinnerlichen!
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